New York, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs: Newman, Personalchef einer angesehenen Firma, unterliegt dem Verbot, Juden einzustellen. Weil eine neue Brille sein Aussehen verändert hat, gerät er in Schwierigkeiten: so stellt sich das „gesunde Volksempfinden“ einen Juden vor. Als er daraufhin auf einen untergeordneten Posten versetzt wird, kündigt er und gibt sich nach langer vergeblicher Stellensuche mit einem einfachen Job zufrieden. Doch die Brille, das Symbol seines beruflichen und gesellschaftlichen Abstiegs, beginnt, ihm den Blick zu schärfen.
Textauszug:
„Finkelstein war noch ein junger Mann, als Jude aber war er alt. Er wußte, was da vorging; er mußte es wohl wissen. Zeimal hatte er in den letzten drei Wochen, wenn er um sechs Uhr früh aus seinem Haus gekommen war, seinen Mülleimer auf der Straße liegend gefunden und die Abfälle vor seinem Haus verstreut. Als er an diesem Morgen heraustrat und den Eimer wider ausgeleert fand – die Grapefruitschalen waren bis auf seine Terrasse hinaufgeworfen – , zögerte er nicht eine Sekunde, sondern machte sich gleich daran, mit zwei Stücken Pappendeckel die Abfälle zusammenzusuchen und in den Eimer zurückzuwerfen. Er lächelte dabei. Wenn er auf diese Art geängstigt und erzürnt wurde, pflegte er immer zu lächeln. Es war wie beim Anhören eines alten Witzes, den man ihm sein ganzes Leben hindurch immer wieder erzählte, so daß er nicht mehr tun konnte als über die Dummheit des Erzählenden zu lächeln. Er lächelte aber auch deshalb, weil er instinktiv wußte, daß jemand von der gegenüberliegenden Häuserfront zusah, wie er die Abfälle zusammensuchte. Erst als er sich aufrichtete, nachdem er den Eimer auf seinen angestammten Platz gestellt und einen Blick über die Straße auf die Reihe der anderen Eimer geworfen hatte – erst dann begann seine Verwirrung. Denn er bemerkte erschrocken, daß auch der Rasen vor Newmans Haus mit Abfällen überstreut war und daß Newmans Eimer ebenfalls umgelegt war. Finkelstein nahm dies zur Kenntnis und dachte darüber nach. War es möglich, daß seine Frau recht hatte, wenn sie behauptete, Newman wäre ein ausgesprochen jüdischer Name? Er konnte es nicht glauben, obwohl er nicht wußte, warum. Es war ihm immer selbstverständlich gewesen, daß Newman, der für diese große Aktiengesellschaft arbeitete, kein Jude sein könnte. In letzter Zeit allerdings…“
Rowohlt Verlag Reinbek 1987